Das Pantheon als neulateinisches Bauwerk

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Das Pantheon in Rom

aus: Henri Stierlin: The Roman Empire; Köln 1996, p. 153


Einleitung

Eugen Gabowitsch hat vor einigen Jahren in der Zeitschrift EFODON-SYNESIS 1/2000, 11 ff. über die frühe Verwendung von Beton referiert. Der Autor stellte fest, daß die alten Hochkulturen diesen Werkstoff kannten. Der technologische Aspekt ist allerdings hoch interessant. Man scheint sich bisher kaum Gedanken gemacht zu haben, worin der Unterschied zwischen Mörtel und Beton besteht. Die „Römer" haben Beton für Gewölbebauten verwendet. Aber erst zur Wende des 20. Jahrhunderts wurde der Werkstoff wieder erfunden.

Gabowitsch erwähnt in seinen Ausführungen auch einige wichtige römische Bauten, die in Beton aufgeführt wurden, unter anderem das Pantheon in Rom, dessen tatsächliche Entstehungszeit er ins 17. oder 18. Jahrhundert setzt (S.12). Hier wird das leidige Problem der Zeitstellungen angetippt, das ebenso schwer zu lösen ist, wie die richtige Verortung eines alten Bauwerkes in einen architekturgeschichtlichen Zusammenhang. Doch gerade beim Pantheon und bei anderen „antiken" Bauten in Rom hat sich der Autor in der letzten Zeit Gedanken zur Chronologie gemacht.

Rätsel Rom im Mittelalter

Für die Allgemeinheit ist die Antike mit ihrer Geschichte, ihren Zeitstellungen und ihrer kulturellen Überlieferung immer noch unwidersprochen. Doch Gernot Geise, A. Fomenko und ich haben sich in den letzten Jahren Gedanken zu den Inhalten und Zeitstellungen gemacht und sind zu neuen Schlüssen gekommen.

Rom in Italien soll eine Weltstadt gewesen sein. Aber betrachten wir die Quellen zur Geschichte dieser Stadt kritisch, so müssen wir feststellen, daß es bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts kaum verläßliche Nachrichten über jenen Ort und seine Bauten gibt. Ferdinand Gregorovius widmete dem mittelalterlichen Rom zwar sein klassisches achtbändiges Werk, aber auch er kann nicht mehr als erdichtete Geschichte zu erzählen. Zu Recht betitelte deshalb Kammeier eine 1938 über jenen Ort veröffentlichte Betrachtung mit „Rätsel Rom im Mittelalter". Der Autor übertreibt sicher, wenn er Rom vor 1400 nur als Dorf und große Ruinenstätte anerkennen will. Doch Kammeier hat klar erkannt, daß die Totalität der „Grossen Aktion", der Umschreibung und Neuerfindung der Geschichte, es nicht bei literarischen Fälschungen bleiben lassen werde: „Die literarischen mußten durch archäologische Fälschungen ergänzt werden" (Kammeier: Rätsel Rom, 57) Also ist nicht nur die schriftliche Überlieferung über die Antike als gefälscht anzusehen, sondern zu einem Teil auch deren Artefakte, also die Münzen, Inschriften und Bildwerke. - Die gleiche Behauptung hat übrigens schon nach 1700 der geniale Jesuit Jean Hardouin geäußert.

Als Quintessenz ergibt sich, daß die klassische Antike erst etwa vor gut 300 Jahren entstanden sein kann.

Und die größten und am besten erhaltenen Schöpfungen dieses Altertums sind nochmals jünger. Diese unterschreiten wohl kaum die genannte Zeitmarke.

Fragen zu den antiken Bauwerken Roms

Auch die offizielle Archäologie und Kunstgeschichte anerkennt den merkwürdigen Umstand, daß wir von den Bauten der Stadt Rom fast alles wissen – Entstehungszeit, Urheber, Zweckbestimmung, Veränderungen – von den Monumenten in den „römischen" Provinzen jedoch so gut wie nichts. Die schriftliche und inschriftliche Überlieferung ist extrem romzentriert – und damit auch schon verdächtig und widerlegbar.

Aber auch wenn die antike Literatur gefälscht ist, so muß sie dennoch berücksichtigt werden. Denn es fällt auf, daß dieses Schrifttum viele Monumente Roms nicht oder nur selektiv wahrnimmt und nur mit bestimmten Eigenschaften. Es entsteht der Eindruck, daß mit einer namentlichen Erwähnung eines Bauwerkes ein bestimmter Zweck verfolgt wird.

Nehmen wir als Beispiel eine Passage des lateinisch schreibenden griechischen Schriftstellers der Spätantike, Ammianus Marcellinus. Seine Res Gestae sollen in ihrer ältesten Abschrift aus dem 10. Jahrhundert AD stammen; doch sie sind wie alle "antike" und "mittelalterliche" Schriftlichkeit in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zu verweisen. Ammianus beschreibt einen Einzug des Kaisers Constantius II. in Rom, wobei er bei gewissen antiken Monumenten regelrecht ins Schwärmen gerät:

Bäder, ... großräumig wie Provinzen angelegt; die Riesenmasse des Amphitheaters, festgefügt aus tiburtinischem Stein, dessen obersten Kranz kaum eines Menschen Blick zu erreichen wagt; das Pantheon, wie ein kreisförmiges, zu wundervoller Höhe aufgewölbes Stadtviertel; mit Wendeltreppen im Innern versehene Säulen, darauf die Standbilder früherer Kaiser; die Tempel der Stadt; das Forum des Friedens; das Theater des Pompejus; das Odeum, das Stadium und andere Schmuckbauen der Ewigen Stadt. Als jedoch der Kaiser auf das Trajansforum kam, dieses einzigartige Bauwerk unter dem weiten Himmel, das unserer Auffassung nach selbst die Götter als Wunder gelten lassen müssen, war er starr vor Staunen und liess seine Gedanken um die riesenhaften Baukörper schweifen ...

(Ammianus Marcellinus, 112 f.).

Neben der „antiken" Literatur existieren für Rom auch „mittelalterliche" Reiseführer.

Sie beginnen mit der sogenannten Konstantinischen Regionsbeschreibung der Stadt Rom (Kammeier, Fälschung, 231 ff.), gehen weiter mit dem Anonymus von Einsiedeln (Gregorovius, III, 499 ff.) – angeblich aus „karolingischer" Zeit und von Poggio während des Konstanzer Konzils „entdeckt" – und dem sogenannten Magister Gregorius und den anonymen Mirabilia urbis Romae. – Aber alle diese Werke verunklären mehr als daß sie aufhellen.

Doch auch aus baugeschichtlicher Sicht gibt es gewichtige Einwände gegen die antike Entstehung von gewissen Monumenten: Der Boden Roms wurde im Mittelalter und auch noch in der beginnenden Neuzeit angeblich ständig nach Marmortrümmern durchwühlt, denn aus diesen brannte man Kalk. Trotzdem blieben etliche Bauten ganz oder teilweise erhalten. Der Zahn der Zeit scheint in der Stadt nur selektiv gewirkt zu haben. Und wie die ganze Geschichte, so enthält auch die Baugeschichte Roms Widersprüche. Beispielsweise soll unter Papst Nikolaus V. "um 1450" Travertin von der Fassade des Kolosseums als Baumaterial weggenommen worden sein. Aber gleichzeitig brach man solchen Stein auch in der Umgebung von Tivoli.

Die offizielle Kunstgeschichte gibt zu, daß die architektonische Entwicklung Roms von derjenigen im nördlichen Europa abweicht: „Rom nimmt daran keinen Anteil, es bleibt wirtschaftlich und kulturell unproduktiv, es bleibt hinter der allgemeinen Entwicklung weit zurück". Weiter: „Die Kunstepochen der Romanik und Gotik ... streifen Rom ... nur von fern; die altehrwürdige Basilika spätantiker Herkunft behauptet das Feld, bis sie beinahe unvermittelt von der Renaissance abgelöst wird. Alles in allem: die fast tausendjährige Epoche des Mittelalters ist für Rom fast nur eine Zeit der Schrumpfung und Rückbildung" (Seidelmayer, 166 f.). – Aber wenn man die verschiedenen Kulturepochen zeitlich zueinander rücken würde, müßte man nicht eine fiktive tausendjährige Verfallszeit und kulturelle Rückständigkeit in Rom postulieren.

Die Baulegende des Pantheons

Nun ist jeder fragwürdige antike Bau in Rom von einer Legende umgeben. Die Legende versucht, den Ursprung und das Schicksal eines Bauwerkes innerhalb des fingierten Geschichtsbildes zu erklären und liefert dabei oft erstaunlich detaillierte Einzelheiten. Von gewissen Bauten des Altertums in der Tiberstadt kennen wir deshalb sogar die Architekten, wir erfahren von Vorgängerbauten, hören von der Beschädigung durch Blitzschlag und Feuer, von Renovationen, Umbauten und Neubauten. Auch die Einbeziehung von pseudohistorischen Ereignissen wie dem grossen Stadtbrand unter Kaiser Nero, gehört dazu.

Dabei können Pseudo-Fakten als Chiffren aufgefaßt werden, welche bestimmte Absichten verbergen. Der erwähnte „Neronische Stadtbrand" zum Beispiel ist vielleicht als nützliche Begründung aufzufassen, welche umfangreiche Neubauten und die Zerstörung alter Bausubstanz in der Fälscherepoche erklären soll.

So gut wie das Pantheon erhalten ist, so spärlich wird es in der „antiken" Literatur erwähnt. Neben der bereits erwähnten euphorischen Charakterisierung durch Ammianus Marcellinus erwähnt Dio Cassius den Bau, wobei er die Kuppel in der Übersetzung von Shelley als „the visible image of the universe" bezeichnet (Urbs Roma, 189), dabei aber den ersten Bau von Agrippa meint.

Die obskure Historia Augusta, welche gegen Ende des 15. Jahrhunderts „entdeckt" wurde, bringt als erste das Pantheon mit Kaiser Hadrian in Verbindung, behauptet aber, dieser habe den Tempel nur restauriert (Urbs Roma, a.a.O.). – Diese Quelle wendet sich also klar gegen die gültige Behauptung, daß wir heute einen hadrianischen Bau vor uns haben.

Dann gibt es auch eine Inschrift von Septimius Severus und Caracalla, die von einer Renovation des Pantheon spricht, der wegen seines Alters zusammengefallen sei (vetustate corruptum) (Urbs Roma, 187). – Da gerät die ganze Baulegende durcheinander: Wir hätten also nicht den Bau Hadrians vor uns, welcher nach nur siebzig Jahren zur Ruine geworden war! Das was wir heute fast als Weltwunder bestaunen, müßte also ein Werk der Severer sein! Unter dieser Kuppel – angeblich also um 200 AD wiedererrichtet – scheint die Zeit stillgestanden zu sein, trotzt doch das Pantheon angeblich seit rund tausendachthundert Jahren erfolgreich dem Unbill der Zeiten und allen äußeren Einwirkungen wie Feuer, Wasser, Erdbeben, Kriegszerstörungen.

Doch auch für den phantastisch guten Erhaltungszustand hat die Legende eine Erklärung parat: Der antike Wölbungsbau sei deswegen so gut erhalten, weil er "kurz nach 600 AD" in eine christliche Kirche umgewandelt wurde. – Aber erstens altern und verfallen auch Kirchen. Und nach offizieller Zeitstellung hätte das Pantheon zwischen Hadrian und dem beginnenden 7. Jahrhundert nach Christus sich ein volles halbes Jahrtausend auf die christliche Obhut gedulden müssen!

Die Legende des Pantheons wird durch eine mittelalterliche Fabel ergänzt, geschrieben von einem Anonymus aus Salerno, angeblich aus der Zeit um "1000 AD" (Gregorovius, III, 502 ff.). Erwähnenswert ist an dieser abstrusen Geschichte nur, daß darin Agrippa, die Schwaben (!), Sachsen (!) und Perser (!) auf der gleichen Ebene genannt werden. – Vor dem 18. Jahrhundert kann dieser Gallimathias nicht entstanden sein.

Die "größte Kuppel vor der Renaissance"

Das Pantheon (Abbildung) ist nicht nur das besterhaltene angeblich antike Bauwerk Roms; es ist auch trotz aller Erforschung noch immer rätselhaft (MacDonald, 11). – Aber vielleicht ist das Änigma von den Erbauern gewollt und gibt uns einen Fingerzeig auf die mutmaßliche Zeit der Errichtung.

Schon baugeschichtlich ist das Pantheon einmalig, bedeutet es doch die radikale Abkehr vom griechisch inspirierten Bauschema des römischen Tempels, indem der künstlerische Ausdruck ganz auf den Innenraum verlagert wird. Trotzdem soll die Rotunde „das römischste aller Bauwerke" sein (Wachmeier, 24).

Der Gedanke eines überwölbten Rundbaus wurde bei vielen anderen „römischen" Bauten in Italien nachgeahmt: bei dem Caldarium der Caracalla-Thermen in Rom, dann auch beim achteckigen Speisesaal der Domus Aurea beim Kolosseum, beim sogenannten Tempel der Minerva Medica an der Via Appia und beim sogenannten Merkurtempel in Baiae. - Dabei gerät aber schon hier die chronologische Ordnung durcheinander; ist doch bei allen erwähnten Bauten unklar, welche vorzeitig, gleichzeitig und nachzeitig sind.

Aber der größte Ruhm gebührt dem Römer Pantheon im Rahmen der Wölbungskunst. Gemäß der offiziellen Meinung ist dieser Rundbau mit einem Gewölbedurchmesser von 43,2 m der größte Kuppelbau der Antike. Erst in der Renaissance seien mit der Kuppel des Domes von Florenz und der Kuppel des Petersdomes in Rom diese Masse wieder erreicht und übertroffen worden.

Schon die damit implizierten Zeitdifferenzen zwischen Antike und Renaissance machen stutzig und fordern den gesunden Menschenverstand heraus: Wie soll man glaubhaft erklären, daß mehr als zwölf Jahrhunderte verstrichen, bis man eine bestimmte Bautechnik wieder erlernte und anwendete?

Aber es scheint da einen Einwand zu geben. Die Römer bauten die erwähnten Kuppeln aus opus caementicium, also einer Art "römischem" Beton; während die Kuppeln der späteren Zeit Ziegelsteinen gefügt waren.

Das Pantheon in Rom kann unmöglich zum klassisch-römischen Baubefund der Stadt gezählt werden. Dem widerspricht die phantastisch gute Erhaltung, dann aber der im Grunde unrömische Charakter des Tempels und eben die Bautechnik des Gußmörtels, die einer späteren Epoche anzugehören scheint.

Das Pantheon ist also nicht „römisch" im klassischen Sinne, zählt aber auch nicht zur Renaissance. Welchem Stil ist es denn zuzurechnen? Es muß dies ein „neulateinischer" Stil gewesen sein - den übrigens auch schon Ferdinand Gregorovius für das Rom kurz vor der Renaissance postuliert (Gregorovius, VII, 622).

Die Erwähnungen des Pantheons in der „antiken" Literatur, etwa bei Ammianus Marcellinus und Dio Cassius, schaffen weitere Anhaltspunkte. Diese Autoren sind gemäß der Geschichte der Grossen Aktion erst im 18. Jahrhundert glaubwürdig, schaffen also einen zeitlichen Endpunkt für die Entstehung der Kuppel. Das Gleiche gilt für die bildlichen Darstellungen der Stadt Rom, die ebenfalls erst in der oben genannten Zeit einsetzen (vgl. Wiesel).

Die Kunstgeschichte ist in Verlegenheit. Sie behauptet zum ersten, daß sich die Kunstgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart in Rom lückenlos darstellen läßt. Auf der anderen Seite muß sie zugeben, daß nach dem Altertum das Marsfeld – wo das Pantheon steht – erst in der frühen Neuzeit zum Zentrum der neuen Stadt wurde. Und der Kuppelbau steht dort mittendrin, fast flankiert von ebenso perfekt erhaltenen „antiken" Monumenten wie den Bildsäulen des Trajan und des Mark Aurel.

Das Pantheon ist unter dieser Sicht mehr das Zentrum der neuen Altstadt von Rom, denn ein antikes Bauwerk.

Eine zeitliche Verortung des Kuppelbaus des Pantheons in die Renaissance, irgendwann in das frühe 18. Jahrhundert, drängt sich auf:

Das Pantheon hat nicht die größte Kuppel vor der Renaissance, sondern die größte Kuppel der Renaissance!

Die neue Verortung des Pantheons macht es unnötig, die gute Erhaltung des Gewölbes mit einer angeblichen Umwandlung des heidnischen Tempels in eine christliche Kirche in einem nichtexistenten Mittelalter stützen zu müssen.

Bauliche Querverweise

Das Pantheon ist nicht nur rätselhaft, sondern bewußt so konstruiert: Der kreisrunde Grundriß, die sphärische Raumstruktur und die Siebenzahl der Wandnischen deuten ausgeprägte astrologische, astronomische und kosmologische Vorstellungen an. Diese aber passen nur zur Renaissance. Der Rückgriff auf die Ideengeschichte würde also ausreichen, um die nachantike Entstehung des Rundbaus zu begründen.

Die Apologeten einer „hadrianischen" Entstehung des Rundbaus haben zwar neben der Gewölbetechnik noch andere bauliche Argumente, die aber nicht beweiskräftig genug sind. So wird darauf hingewiesen, daß das Pantheon auf dem antiken Stadtniveau gebaut ist, das unterhalb des heutigen liegt. Doch ob „antik" oder „mittelalterlich", ist ein tieferes Fußbodenniveau bei einem alten Bau alleweil zu erklären.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts scheint Rom übrigens von einer gewaltigen Überschwemmung heimgesucht worden zu sein. - Erst ab dieser Zeit staken die "antiken" Bauwerke in teilweise viele Meter hohen Erdschichten.

Oder man verweist auf die Ziegelstempel am Pantheon, die alle aus hadrianischer Zeit stammen. Jedoch ist diese Materialkennzeichnung zur Datierung mehr als problematisch; sie begann in Rom in Julisch-Claudischer Zeit und läuft bald nach Hadrian wieder aus (MacDonald/Pinto, 8). Ziegelstempel sind also auf die klassische römische Kaiserzeit beschränkt – und die Probleme der fingierten „römischen" Geschichte sind damit erst noch ausgeklammert.

Dem Rätsel des Pantheons lässt sich nur so näherkommen, indem man die baulichen Querverweise und Zitate genauer betrachtet.

Die dem Pantheon ähnlichen Gewölbe in Rom und bei Neapel wurden schon erwähnt. – Angefügt werden soll für Rom die Engelsburg, also das im Oberbau ebenfalls kreisrunde „Hadrians"-Mausoleum.

Der interessanteste Vergleichsbau zum Pantheon aber ist das sogenannte Teatro Marittimo in der Hadriansvilla bei Tivoli (Abbildung). Diese kreisförmige Konstruktion ist „eine Architekturschöpfung, die gleichsam modellhaft eine philosophische Daseinsform repräsentiert" (Wachmeier, 137): ein ringförmig geschlossener Bezirk, ganz auf das Innere gerichtet und nur im Inneren strukturiert. Und besonders bemerkenswert:

Der Außendurchmesser des Teatro Marittimo entspricht auf einen Fuß genau demjenigen des Pantheons in Rom!

Beide Anlagen müssen also aus derselben Zeit stammen; und wenn sie nicht „hadrianisch" sind, so muß diese Chiffre doch irgendeine Berechtigung haben.

Das sogenannte Teatro Marittimo in der Hadriansvilla in Tivoli

Der Rundbau hat den gleichen Durchmesser wie das Pantheon in Rom.

aus: Henri Stierlin: The Roman Empire; Köln 1996, p. 174


So wie das Pantheon rätselhaft ist, so zeigt der Teatro Marittimo eine „unendlich vielfältige, rätselhafte Struktur" mit einer „reichen sinnbildlichen und semiotischen Bedeutung" (Stierlin, 170; Übersetzung: CP). Man sieht, dass hier ähnliche Begriffe für die Charakterisierung des Teatro gebraucht werden, wie für den Kuppelbau in Rom.

Überhaupt finden sich in verschiedenen Gebäuden der Hadriansvilla Zitate des Pantheon-Gewölbes: im Heliokaminus-Bad, in der sogenannten Akademie von Athen, im Brunnenhof, im Wasserhof, aber am deutlichsten in der Rotunde der Grossen Thermen (Abbildung); letztere hat auch eine ähnliche kreisrunde Lichtöffnung wie in Rom.

9;

Rotunde der Grossen Termen in der Hadriansvilla bei Tivoli

Stich von Piranesi

aus: MacDonald/Pinto: Hadrian's villa and its legacy; New Haven - London 1995, p. 158


Der Teatro Marittimo wirkt übrigens – von der Forschung ausdrücklich festgestellt (Stierlin, 180 f.) - wie eine Realisierung des Aviariums von Terentius Varro, dem römischen Architekturtheoretiker. – Aber Varro ist das Alter Ego des bekannten Renaissance-Architekten Leon Battista Alberti. – Ist Alberti etwa der tatsächliche Architekt von „trajanischen" und „hadrianischen" Grossbauten?

Überhaupt ist die ganze sogenannte Hadriansvilla als baulicher Rätselkomplex zu betrachten und legt mit seinem Eklektizismus der verschiedenen Bauten, den vielen kreisförmigen, halbkreisförmigen und kurvigen Grundrissen und den griechischen und ägyptischen Zitaten eine nichtantike Entstehungszeit nahe. Diese Baulandschaft erinnert sehr an die künstlerischen Vorlieben der Renaissance und ihre platonischen und neuplatonischen Ideen. – Man hat den Eindruck, daß die Villa nie vollendet wurde, daß sie bewußt als Ruinenlandschaft angelegt wurde – trotz der umfangreichen, auch unterirdischen, Infrastruktur.

Der erste, der die Hadriansvilla beschrieb, war übrigens der „Fälscherpapst" Pius II. Piccolomini mit seinem Sekretär Flavio Biondo - vor dem 18. Jahrhundert ausgeschlossen.

Die Bauzitate zum Pantheon beschränken sich aber nicht nur auf die Umgebung von Rom und Neapel.

Unbedingt muß in diesem Zusammenhang auf das sogenannte Herodion (oder Herodium) hingewiesen werden, eine merkwürdige, kreisrunde Festung auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel, 15 km südlich von Jerusalem (vgl. den Plan). Die sonderbare, mehrstöckige Palastburg mit einem Durchmesser von ungefähr 70 Metern, mit drei halbrunden Türmen und einem "mittelalterlich" anmutenden Rundturm, wirkt weder antik noch neuzeitlich und kann nur als übermeerischer Vergleichsbau zum römischen Pantheon richtig verstanden werden. – Da ist schon aus geographischer Hinsicht hochinteressant, daß sich dieses bauliche Zitat in Palästina findet.

Das sogenannte Herodion oder Herodium in Palästina

Die Verwandtschaft mit dem Pantheon, dem Teatro Marittimo der Hadriansvilla in Tivoli - aber auch zur französischen Burgenarchitektur (Coucy) - ist unverkennbar.

aus: William L. MacDonald/ John A. Pinto: Hadrian's villa and its legacy; New Haven - London 1995, p. 87


Das Herodion soll von einem "Herodes dem Grossen" erbaut worden sein – daher der Name. Aber die Forschung stört sich nicht daran, daß in dieser Festung auch eine „byzantinische Kapelle" und sogar eine „Synagoge" nachzuweisen sind.

Das Herodion wird von dem römisch-jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus genannt. Auf diesen Autor ist wahrscheinlich das Neue Testament zurückzuführen, wie Francesco Carotta vermutet.

Über das angebliche Grab des Herodes, welches der Archäologe Ehud Netzer 2007 glaubt gefunden zu haben, vergleiche meinen Web-Beitrag:

Das angebliche Grab des Herodes im Herodion

Von Palästina kehren wir wieder nach Rom zurück. Hier gibt es die „frühchristliche" Kirche Santo Stefano Rotondo, die ebenfalls aus mehreren konzentrischen Kreisen aufgebaut ist und vier ähnliche halbrunde Ausbuchtungen an der Außenfassade hat wie das Herodion – dazu noch mit einem ähnlichen Außendurchmesser. Welches Bauwerk hat hier welches beeinflußt?

Salomons Rundbauten und Kuppeln

Die richtige Verortung des Pantheons in Rom kann hier nur skizziert werden. Sie ist im Zusammenhang mit der erwähnten Entstehung des „konstantinischen", „frühchristlichen" und „katholischen" Christentum zu sehen. Örtlich ist ein Spannungsdreieck zwischen dem italischen Rom und Unteritalien, dem byzantinischen Rom (Konstantinopel und auch Ravenna) und dem himmlischen Rom (Jerusalem) zu bezeichnen.

Die christliche Kirche grenzte sich mit Rundtempeln oder Rundkirchen von der heidnischen Vergangenheit ab. In Rom entstehen so der „Tempio di Romulo" auf dem Forum Romanum – heute das Vestibül der Kirche SS Cosma e Damiano, die Kirchen Santo Stefano Rotondo und Santa Costanza.

Und so gut wie in Rom das Pantheon entsteht, konkurrenziert Konstantinopel das italienische Bauwerk mit der Hagia Sophia.

Und in Jerusalem, dem himmlischen Rom, wird die „konstantinische" Grabeskirche mit dem kreisrunden Zentralbau, der Anastasis, errichtet.

Den letztgenannten drei Bauwerken sind Kuppeln gemeinsam, und alle spielen sie in versteckter Weise auf den Tempelbau des legendären Königs Salomon an.

Nicht von ungefähr erzählt die Sage, daß der oströmische Kaiser Justinian, als er den fertigen Bau der Hagia Sophia besucht habe, ausgerufen haben soll: „Salomon, ich habe dich übertroffen!" Wenn jener Bau also in eine salomonische Tradition gestellt wurde, so gilt das Gleiche auch vom Pantheon in Rom. Wen immer man als den König Salomon in Rom vermutet, das Pantheon muß sein dortiger Tempelbau gewesen sein.

Aber das kann erst nach 1700 AD gewesen sein.

Literatur

Ammianus Marcellinus (1974): Das römische Weltreich vor dem Untergang. Sämtliche erhaltenen Bücher übersetzt von Robert Veh. Eingeleitet und erklärt von Gerhard Wirth; Zürich – München

Carotta, Francesco (1999): War Jesus Caesar? 2000 Jahre Anbetung einer Kopie; München

Dudley, Donald D. (1967): Urbs Roma. A source book of classical texts on the city & its monuments; Aberdeen

Gabowitsch, Eugen (2000): Betonbauten der Römer, Kelten und Ägypter; in: Synesis, 37, 11 – 20

Gregorovius, Ferdinand (1903 – 1908): Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Vom V. bis zum XVI. Jahrhundert; Bd. 1 – 8; Stuttgart – Berlin (auch online ediert)

Kammeier, Wilhelm (2000): Die Fälschung der deutschen Geschichte; Viöl

Kammeier, Wilhelm (1979): Die Wahrheit über die Geschichte des Spätmittelalters; Wobbenbüll

MacDonald, William L. (1976): The Pantheon. Design, meaning, and progeny; London

MacDonald, William L./Pinto, John A. (1995): Hadrian’s Villa and ist legacy; New Haven – London

Pfister, Christoph (1999): Zur langen Baugeschichte des Mittelalters. Kritik an der überlieferten Chronologie und Versuch einer Neubestimmung; in: Zeitensprünge, 1, 139 – 166

Pfister, Christoph (2013): Die Matrix der alten Geschichte. Analyse einer religiösen Geschichtserfindung; online-Ausgabe

Seidlmayer, Michael (1989): Geschichte Italiens; Stuttgart

Stierlin, Henri (1996): The Roman Empire; vol. 1; Köln

Wachmeier, Günter (1975): Rom. Die antiken Denkmäler. Mit Villa Hadriana, Ostia antica und Praeneste; Zürich – München

Wiesel, J.M. (1962): Visioni di Roma nelle stampe antiche dal XIV° als XIX° secolo; Firenze