KAUW - ein Berner Maler um 1770 ff.

Ein kunsthistorischer Artikel,
mit Bildern des Künstlers illustriert.

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Résumé:

Der Berner Maler Albrecht Kauw,
der angeblich "in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts" wirkte,
ist auf Grund vieler Indizien erst um 1770 glaubwürdig.

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Kauw, der erste Maler
der bernischen Landschaft
mit seinen Burgen und Schlössern

Der Maler Albrecht Kauw ist dem interessierten Publikum seit langem bekannt. In unzähligen Werken zur Geschichte und Heimatkunde Berns und des Bernbiets finden sich einzelne seiner Burgen-Aquarelle abgebildet.

Doch erforscht wurde Kauw bis in jüngste Zeit kaum. Er blieb jener Künstler, der sich gut eignete, um alle möglichen Bücher zu illustrieren - aber nicht mehr. - Im 19. Jahrhundert wurde er auch in der historischen Literatur noch kaum erwähnt.

Das hat sich geändert. 1999 ist von Georges Herzog ein 400-seitiges Werk über Albrecht Kauw, den Berner Maler aus Straßburg herausgekommen. - Die Monographie stellt ursprünglich eine Dissertation dar. Doch vom Umfang, der Ausstattung und dem wissenschaftlichen Gewicht sprengt die Arbeit den Rahmen einer universitären Abschlußarbeit.

Das Werk von Herzog ist dogmatisch und konventionell. Nirgends äußert der Autor Zweifel an den Datierungen. Und Verbindungen und Ähnlichkeiten mit anderen Bildern und Künstlern werden - wenn überhaupt - nur erwähnt.

Dennoch gesteht Herzog ungewollt ein, daß Albrecht Kauw in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu setzen ist:

Bei der Beurteilung des Aquarells Obere Hauensteinstrasse bei Langenbruck BL sagt der Autor:

Die Wiedergabe der Felsen und der Gebirge nimmt die Schweizer Kleinmeister der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorweg.

(Georges Herzog: Albrecht Kauw, Bern 1999, Seite 172)

Kauw: Hundert Jahre vor den Kleinmeistern des 18. Jahrhunderts? - Die offizielle Chronologie entlarvt sich bei dieser Bemerkung als absurd!

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Illustrierte Beispiele zu Kauw

Albrecht Kauw: Ansicht des Marzilitors in Bern
mit dem Münster, der Münsterplattform
und der Aareschwelle

Aquarellierte Federzeichnung, ca. 23 X 32 cm (ohne Rahmen). Datiert "1669".

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Ausführlich wird auf diese Ansicht eingegangen in:

Die Ursprünge Berns.
Eine historische Heimatkunde Berns und des Bernbiets.

Mit einem autobiographischen Anhang
(Norderstedt 2022).

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Das Aquarell ist mit "1669" datiert. - Aber die aus der Geschichts- und Chronologiekritik gewonnenen Hinweise zwingen zu einer Datierung des Bildes gegen die Zeit um 1770.

Kauw stellt hier eine realistische Detail-Ansicht von Bern dar, mit Bauten, die noch heute erhalten sind (Münster) oder in Teilen erkennen kann (Haldensperrmauer beim Münzgraben).

Die Bauten Berns zeigen eine vollendete Gotik, jedoch noch ohne die bedeutenden barocken und klassizistischen Veränderungen.

Das Marzilitor wurde um 1790 durch ein klassizistisches Tor ersetzt. - Das Stiftsgebäude vor dem Münster wurde ebenfalls um diese Zeit für den noch heute bestehenden barocken Bau abgerissen.

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Kauw: Frienisberg, ehemaliges Kloster.
Ansicht von Süden.

28 x 42 cm, datiert "1671", Historisches Museum Bern

Das Bild zeigt ein ehemaliges Zisterzienserkloster, welches durch die Berner Reformation säkularisiert wurde. - Der Wandel von Kirche und Glauben geschah offenbar kurz vor Kauw, also etwa nach der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Gewisse Dinge auf dem Bild von Kauw, etwa der Kirchturm und einige Formen der Klostergebäude, aber auch der Weiher am linken Bildrand, haben sich bis heute erhalten.

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Kauw: Die alte Burg Bremgarten
bei Bern.

 Ansicht von Nordwesten.
Hinter der Burg erkennt man das alte,
gotische Wohnschloß
und links davon die Zehntscheune.

Aquarell, 20 x 30 cm,

Historisches Museum Bern. Datiert "1669".

Kauw schuf zwei Aquarelle und ein Ölbild von Bremgarten bei Bern.

Die alte Burg Bremgarten stand noch bis ca. 1800. Dann wurde sie bei der Anlage des neuen Schlosses für die Gartenanlage eingeebnet.

Die Burg bestand aus einer Motte, auf welcher ein Wehrturm stand und von einem doppelten Mauerring umgeben war. - Vom äußeren Mauerring sind noch geringe Reste an der Nordseite gegen die Aare auszumachen.

Die gleiche Datierung wie das obige Marzilitor ("1669") ist auffällig.

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Kauw: Das Schloß Vufflens bei Morges VD

"Wiflang"

Aquarell, 21 x 35 cm

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Vufflens, ein spätgotisches, aus Backsteinen erbautes Wohnschloß, ist gut erhalten und bietet sich genau so dar, wie es der Künstler im 18. Jahrhundert gezeichnet hat. - Unten rechts ist vermerkt, daß die Vorzeichnung von Johannes Dünz stammt. - Dieser bildete mit Kauw und sicher noch mit anderen eine Künstlergilde.

Man beachte beim Wohnbau rechts von Vufflens die vier schlanken, runden Ecktürme, die Minaretten ähneln. - Der morgenländische Einfluß ist bei diesem Schloß offenkundig.

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Kauw: Die Festung Aarburg

Aquarell im Historischen Museum Bern

aus: Georges Herzog: Albrecht Kauw, Bern 1999, S. 149

"Die Voggtey und Festung Arburg wie von miternacht an zu sehen ist"

Das fehlerhafte Deutsch der Beschriftung ist nicht ursprüngliches Deutsch, sondern Fälscherabsicht:
Damit sollte ein höheres Alter des Dokuments vorgegaukelt werden.

Die Festung Aarburg mit ihren Vauban-Schanzen kann sich frühestens um 1775 so präsentiert haben.

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Kauw: Die Burgruine Neu Bubenberg
bei Schliern (Gemeinde Köniz BE).
Ansicht von Nordwesten.

"Buobenberg"

Aquarell, 14 x 28 cm

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Links neben der Ruine sieht man im Hintergrund die Sandsteinbrüche am Gurten. Der Berg oberhalb der Burgruine ist der Ulmizberg. Die Ruine ist heute Privatbesitz und wurde um 1938 unglücklich restauriert.

Es gibt auch eine Erdburg Alt Bubenberg, nordöstlich von Frauenkappelen BE:

Vgl.: Die Ruine Alt Bubenberg

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Kauw: Die Burgruine Ägerten am Gurten
(Gemeinde Köniz)

Aquarell, 26 x 36 cm

"Aeggerden"

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Über die Burgruine Ägerten am Gurten vergleiche den Artikel des Autors: Die Burgstelle Ägerten am Gurten bei Bern

Über die Burg Ägerten hat der Berner Schriftsteller Johann Rudolf Wyss eine kleine Dichtung verfaßt. Diese hat der Verfasser neu herausgegeben:

Johann Rudolf Wyss der Jüngere: Der Abend zu Geristein und Der Ritter von Ägerten. Zwei Dichtungen neu herausgegeben, eingeleitet und illustriert von Christoph Pfister (2019)

Es ist dies eine Sicht aus Südwesten. Unten links sieht ist das Gurtendorf angedeutet. Im Mittelgrund links erkennt man eine Flanke des Belpbergs. Im Hintergrund sieht man die Schrattenfluh.

Die Motte und der Ringgraben und Ringwall auf drei Seiten der Burgstelle Ägerten ist auf dem Bild deutlich herausgearbeitet. Noch hoch aufragend ist die Ruine des mächtigen Donjons mit einem Hocheingang auf der Südseite. - Der Turm ist bereits gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts vollständig abgetragen worden. Heute sind nur noch die Ecksteine der vier Seiten auszumachen.

Ein Künstlertrick ist zu vermerken: Kauw zeichnet den Ringwall und Ringgraben auf der Seite des Betrachters als eben abgeholzt. Das aber war wohl eine Erfindung des Malers, um eine freie Sicht auf die Ruine zu haben.

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Kauw: Die Ruine Lichtenau an der Aare
bei Villnachern (Aargau)

Aquarell, 15 x 23 cm

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
des Historischen Museums Bern

Ein großer Wert der Burgen- und Schlösserbilder von Albrecht Kauw liegt auch darin, daß er Objekte abbildete, die nachher vollständig verschwanden.

Die Burg Lichtenau war an einem Seitenarm am linken Ufer der Aare angelegt. Die Ruine wurde um 1836 vollständig abgetragen. - Nur der Standort am südöstlichen Rand des Dorfes Villnachern ist noch bekannt.

Nach dem Bild von Kauw war Lichtenau eine weitläufige Anlage, mit einem Rundturm, der mit bossierten Quadern verkleidet war, als zentralem Element.

Der Bering war mit mindestens zwei Türmen verstärkt. Dahinter scheint sich ein Palas befunden zu haben.

Man achte auf das große torartige Loch rechts neben dem runden Bergfried. Dieses wurde absichtlich in die Ringmauer geschlagen, um die Wehranlage unbenutzbar zu machen. - Man kennt diese Methode von anderen Burgruinen, z.B. von La Tornallaz in Avenches (siehe unten).

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Kauw: Ansicht der Burgruine Uttigen
von Süden

Aquarell, 25 x 50 cm

Vergleiche: Die Burgruine Uttigen

Die Ansicht der weitläufigen Burgruine Uttigen, nördlich von Thun am linken Ufer der Aare, ist auch als Dokument wertvoll. Von der Burg sind heute nur noch der Platz und zwei kurze Mauerstücke auszumachen. Das Bollwerk in der Südostecke, mit einem mächtigen, gegen Außen mit Bossenquadern verkleideten runden oder halbrunden Turm über einem Felsabsturz zur Aare hin, ist vollständig verschwunden.

Das Gelände gegen die Aare hin ist heute vollkommen verändert: Der Fluß bildet keine Schwemmebene mehr.

Und das Wichtigste: Das Aareufer liegt heute ungefähr 200 Meter von der Burgstelle entfernt!

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Kauw: Avenches (Aventicum):
Der Burgturm La Tornallaz (links) und die Storchensäule (le Cigognier) rechts

Aquarell, 29 x 34 cm

In der Legende sagt der Künstler am Schluß, daß er die beiden Objekte nach der Natur gemalt habe.

aus: Georges Herzog: Albrecht Kauw, Bern 1999, S. 153

Die Storchensäule (Cigognier) in Avenches bietet sich noch heute so dar, wie sie Kauw dargestellt hat. - Allerdings muß man wissen, daß man die Säule bewußt stehen ließ, weil sie in nachrömischer Zeit als Fixpunkt für die Landvermessung diente.

Hingegen ist das Aussehen des Wehrturms von La Tornallaz beim Osttor der alten römischen Stadtmauer im Osten des Ortes Avenches heute durch die Restauration um 1900 vollständig verändert worden:

Der nach innen gerichtete halbrunde Turm der alten Stadtmauer von Aventicum wurde im "Mittelalter" zu einem Wehrturm umgebaut - deshalb ist er erhalten geblieben.

Am Ende der Burgenzeit wurde der Turm unbrauchbar gemacht, indem man sowohl auf der Ost- wie Westseite ein großes Loch in den Bau schlug und so einen torartigen Durchgang schuf. - Solche bewußt in Mauern und Türme geschlagenen Löcher sind teilweise noch heute zu sehen (z.B. am Westturm der Ruine Arconciel - Ergenzach FR). - Vgl. auch die Abbildung von Lichtenau bei Villnachern (oben).

Das östliche Loch im Wehrturm von La Tornallaz ist auch auf einem Aquarell von Gabriel Lory (um 1800) zu sehen. Siehe die Abbildung in: Die Ursprünge Berns.

Bei der Restauration um 1900 wurden die Öffnungen geschlossen und die "mittelalterlichen" Veränderungen getilgt, um wieder ein "klassisches" Aussehen zu erreichen.

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Kauw: Saligut oder Wittikofen bei Bern

Aquarell, 15 x 19 cm

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Das noch heute existierende gotische Wohnschloß am Ostrand der Stadt Bern hat den Ostermundigenberg als Hintergrund. Dieser ist hier wie ein Vulkanberg gestaltet und faßt den Gebäudekomplex ein.

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Kauw: Schloß Holligen bei Bern.
Ansicht von Nordwesten
mit dem Gurten im Hintergrund.

Aquarell, 20 x 29 cm. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Das Bild zeigt ein gotisches Wohnschloß, welches noch heute in der Stadt Bern existiert, allerdings ohne die Umfassungsmauern und Türme - welche schon bei der Erbauung keinen fortifikatorischen Wert besaßen.

Im Hintergrund sieht man den Gurten mit dem Chutzen. Am Abhang sind deutlich die dortigen Steinbrüche sichtbar.

Rechts vom Gurten ist der Ulmizberg zu sehen, links im Hintergrund die Stockhornkette.

Vor dem Schloß ist ein Ententeich abgebildet, dessen Schilffläche in Form einer Vauban-Schanze zugeschnitten ist: Auch dies ist ein chronologisches Argument. Es spricht für eine Entstehungszeit in den 1770er Jahren.

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Kauw: Schloß Landshut bei Utzensdorf BE
von Norden.
In der Bildmitte das Schwemmgebiet der Emme
mit der Kirche von Bätterkinden.

Ölbild im Jagdmuseum von Schloß Utzenstorf, 80 x 191 cm

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Auch von diesem Schloß existiert eine aquarellisierte Ansicht.
Kauw zeigt das Objekt noch als gotische Anlage.
Ein Wasserschloß ist Landshut noch heute.

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Kauw: Schloß Toffen von Südwesten

Ölbild, 97 x 178 cm, Privatbesitz

aus: Georges Herzog: Albrecht Kauw, Bern 1999, S. 261

Es macht den Anschein, als seien Kauws Ölbilder von bernischen Schlössern nach den Aquarellen gemalt worden.

Das Bild läßt sich stilistisch als holländisch, spätgotisch, späte Renaissance und früher Barock einordnen.

Plausible Entstehungszeit: ca. 1775

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Albrecht Kauw, der erste bernische Maler

Albrecht Kauw ist der erste halbwegs glaubwürdige Künstler der Stadt.

Von der Geschichts- und Chronologiekritik her, die ich in meinen Büchern Die Matrix der alten Geschichte (2021) und Die alten Eidgenossen (2019) erklärt habe, beginnt die wahre Geschichte erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Fuß zu fassen. - Aber sicher ist dort noch lange nichts, weder inhaltlich noch zeitlich.

Indem die Schwelle der sicheren Geschichtskenntnis immer weiter gegen vorne rückte, wurden alle Daten vor der Französischen Revolution fragwürdig.

Die zeitliche Einordnung von Albrecht Kauw begann zu wanken. Die Indizien beweisen, daß jener Künstler in das 18. Jahrhundert zu setzen ist.

Zweifel an Kauws Datierungen

Geristein

Kauw: Geristein (Gerenstein)

Aquarell, 14 x 15,5 cm, datiert "1659"

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern.

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Über dieses Objekt vergleiche auch die Artikel über die Burgruine Geristein und die merkwürdige Felsformation des Elefanten von Geristein.

Gleichlautende Betrachtungen finden sich auch in der Neuherausgabe der Novelle von 1825: Johann Rudolf Wyss dem Jüngeren: Der Abend zu Geristein (2019)

Kauw bietet die älteste Ansicht des Turms von Geristein.

Die nächste Ansicht stammt von Gabriel Ludwig Lory um 1823.

 Wenn die offiziellen Datierungen von Kauw wahr wären, so hätte das ganze kunstfreudige 18. Jahrhundert - insgesamt über 160 Jahre - kein Bild der Ruine geliefert. - Ist so etwas plausibel?

Der Rundturm von Geristein mit seinen Buckelquadern nach außen ist ein früher Artilleriebau. - Solche Mauern werden frühestens um 1750 plausibel. - Ein vergleichbares Mauerwerk findet sich an der Münster-Plattform in Bern.

Vor 1760 ist das Bild von Geristein unmöglich. Das Aquarell von Kauw ist falschdatiert oder rückdatiert.

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Kauw: Schloß Utzigen von Süden (Detail):
 Jagdszene

aus: Georges Herzog: Albrecht Kauw, Bern 1999, S. 257

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Etliche Aquarelle von Burgen und Schlössern hat Kauw auch als Ölgemälde ausgefertigt. Dies ist etwa der Fall bei der Sujets Reichenbach, Bremgarten bei Bern, Toffen, Landshut und Utzigen.

Bei den Schloßgemälden Kauws ist die Staffage des Vordergrundes reichhaltiger und weniger stereotyp als bei den Aquarellen. Dies erlaubt bessere Einblicke in die mögliche plausible Entstehungszeit.

Das erwähnte Schloß Utzigen hat Kauw zwei Mal in Öl gemalt, einmal als Süd- und einmal als Nordansicht.

Bei der Südansicht von Utzigen (vergleiche die obige Abbildung) findet sich im Vordergrund eine Jagdszene. Ein Jäger, dem Jagdhunde vorauseilen, verfolgt zwei Hirsche, und von der Seite her schießt ein Jäger auf die Tiere.

Die Jäger sind mit Gewehren bewaffnet. Diese kann man sich erst in den 1770er Jahren vorstellen.

Das Gemälde von Utzigen zeigt schon den Einfluß des englischen Stils.

Kauw aus Straßburg,
der Maler der Berner Bilderchroniken?

Im Buch Die alten Eidgenossen (2019) weise ich an vielen Stellen auf eine biographische Merkwürdigkeit bei vielen Künstlern und Schriftstellern aus den unbelegten Jahrhunderten vor der wahren Geschichte hin: Diese waren nämlich meistens nicht Bürger des Ortes, sondern Zugewanderte: Justinger kam aus Süddeutschland, desgleichen Anshelm. Und die Familie Schilling stammte aus Solothurn, bevor sie in Bern und Luzern zu Ruhm und Ansehen kamen.

Und Albrecht Kauw kam aus Straßburg. - Nun sind Künstler bekanntlich weitgereiste Leute und ihre Wirk-Orte selten identisch mit den Geburtsorten.

Aber Kauws Biographie hat noch eine andere Unstimmigkeit. Von ihm kennt man das Geburtsjahr "1621", belegt sogar durch eine - natürlich falsche - Geburtsurkunde.

Doch das Sterbejahr des Künstlers ist unbekannt. Man sagt, er müsse "nach 1681" gestorben sein.

Ein unbekanntes Sterbejahr in einem Zeitalter der beginnenden Schriftlichkeit ist unglaubwürdig.

Der Umstand zeigt, daß Kauws Biographie gefälscht und rückdatiert ist. - Vielleicht verbirgt sich dahinter sogar ein anderer Künstler.

Aber daß Kauw aus Straßburg kam, beweist ein Detail aus der berühmtesten der Berner Bilderchroniken.

Diebold Schilling; Spiezer Bilderchronik:
Einfall eines englischen Reiterheeres ins Elsaß (Detail): 
Ansicht der Stadt Straßburg
mit dem doppeltürmigen gotischen Münster

Die Spiezer Chronik, genauer gesagt die illustrierte Stadtchronik von Justinger, ist nach 1770 entstanden.

Die realistische Stadtansicht von Straßburg ist auffällig und läßt an eine Herkunft des Künstlers aus dieser Stadt denken.

Man achte besonders auf die wie Ballen geformten Bäume, die verblüffend denjenigen auf dem Bild von Aberli (unten) gleichen.

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Johann Ludwig Aberli:
Ansicht von Yverdon von der Seeseite her
(Detail)

Aberli ist um 1780 anzusetzen und zeigt in gewissen Details,
 besonders etwa den Baumformen ähnlich wie Ballen, den Einfluß von Kauw.

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In der sogenannten Spiezer Chronik des Diebold Schilling, die gemeinhin "um 1483" angesetzt wird, gibt es eine Darstellung des Einfalls eines englischen Reiterheeres ins Elsaß.  Dort sieht man im Hintergrund die Stadt Straßburg (vergleiche die Abbildung) mit ihrem rundlichen Perimeter und dem gotischen Münster mit der charakteristischen Westfassade mit nur einem vollendeten Turm. So aber kann sich die Stadt und das Münster erst nach 1760 präsentiert haben. - Der Zeichner kannte die elsässische Stadt sicher aus eigener Erfahrung.

Es hat offenbar tatsächlich einen Künstler aus Straßburg in Bern gegeben. Und dieser war sehr vielseitig.

Vielleicht ist Kauw der Illustrator des Spiezer Schillings.

Aber es gibt noch einen anderen Berner Maler, der als Illustrator des Spiezer Schillings in Frage kommt: Johann Ludwig Aberli (1723 - 1786). Dieser Maler hat bekanntlich die auf alt gemachte Sickinger-Ansicht von Bern gemalt. Also könnte er für andere pseudo-alte Bilder verantwortlich sein.

Schaut man sich den Ausschnitt der Aberli-Ansicht von Yverdon (siehe Abbildung) an, so fällt die frappante Ähnlichkeit, besonders in der Behandlung des Wassers und der Bäume, mit der Schilling-Ansicht von Straßburg auf. Zufall oder gleicher Maler?

Es wird offiziell zugegeben, daß Albrecht Kauw in einer Kunstgilde gearbeitet hat. Schon aus diesem Grunde sind die Datierungen zu verschieben.

Das Geschlecht der Erlach
als Auftraggeber von Kauw und Diebold Schilling

Die Sache mit den Bilderchroniken führt weiter. Kauw malte Aquarelle und Gemälde von Burgen und Schlössern und schuf Landschaften und Stilleben in holländischer Manier.

Die Burgen-Aquarelle malte Kauw für das Bernische Ämter- Regiments- und Geschlechterbuch, das ein Viktor von Erlach in Auftrag gab.

Die erwähnte Spiezer Bilderchronik des Diebold Schilling hatte ebenfalls einen aus dem Geschlecht der von Erlach zum Auftraggeber.

Lassen wir die unglaubwürdigen Zeitunterschiede beiseite, so ergibt sich ein Zusammenhang: Das regimentsfähige Geschlecht der Erlach war es, welche die erfundene Geschichte Berns förderte.

Die Chronisten Berns nannten sich Justinger, Tschachtlan, Schilling und Anshelm. - Die Künstler hießen neben Plepp und Sickinger vor allem Johannes Dünz und Albrecht Kauw

Als wichtigsten Geschichtserfinder nenne ich in meinem Buch den Historiographen Michael Stettler, der in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts eingeordnet wird. - Aber dieser Chronist kann erst etwa um 1770 gewirkt haben.

Und neben Michael Stettler gibt es kurz nach Kauw noch einen Künstler, der Wilhelm Stettler hieß und ebenfalls in holländischer Manier Ansichten von Bern malte (vergleiche hierzu drei reproduzierte Ansichten von Wilhelm Stettler in Die Ursprünge Berns (2020).

Der Letztgenannte soll ein Verwandter des Chronisten Stettler gewesen sein. - Das ist analytisch richtig in dem Sinne, daß alle diese Personen zu einer einzigen zeitgleichen Schreib- und Kunststube gehört haben.

Die Beziehungen zwischen Kauw und Wilhelm Stettler sieht Georges Herzog in seiner Monographie nicht.

Kauw hatte noch einen angeblichen Adepten, den Maler Johannes Dünz, dem eine sagenhaft lange Lebenszeit von "1646 bis 1736" zugedichtet wurde. - Dünz machte schon in den Burgenaquarellen manche Vorzeichnung, die in den Signaturen vermerkt sind.

Auch die Beziehungen zwischen Kauw und Dünz sind für Georges Herzog kein Thema.

Zwischen Kauw, Wilhelm Stettler und Johannes Dünz, aber auch zwischen Aberli, bestehen Zusammenhänge. Alle diese Künstler werden erst gegen 1770 glaubwürdig.

Ebenfalls könnte ein eingehender Vergleich zwischen den Berner Bilderchroniken und den frühen namentlich bekannten Berner Künstlern Zusammenhänge feststellen.

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Kauw und Niklaus Manuel

Kauw: Der Totentanz nach Niklaus Manuel. Die Blätter 2 - 5:

Paradiesvertreibung/Moses empfängt die Gesetzestafeln - Kreuzigung/Totenkonzert - Papst/Kardinal - Patriarch/Bischof

Alle Blätter Aquarell und Gouache auf Papier, ca. 36 x 40 cm, Bernisches Historisches Museum

aus: Georges Herzog: Albrecht Kauw; Bern 1999, S. 135

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Auf eine allgemeine kunsthistorische Merkwürdigkeit habe ich auch in Die alten Eidgenossen (2019) hingewiesen. Die Forschung weiß es und drückt es aus, ignoriert aber das zu Grunde liegende Problem: Es gibt Dark Ages in der Kunstgeschichte. Zwischen der Reformation "um 1528" und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts klafft eine hundert- bis hundertfünfzigjährige Lücke. In dieser Zeit gab es kaum Kunst und Künstler.

Ein solches schwarzes Loch ist das Ergebnis einer falschen Chronologie. Man hat die "Reformation", also die Glaubensspaltung, die im 18. Jahrhundert stattgefunden hat, zeitlich zurückverschoben, um eine Distanz zu den Ereignissen zu suggerieren.

Albrecht Kauw selbst zeigt diesen unmöglichen chronologischen Hiatus - und er gibt auch Hinweise, wie sich die Lücke schließen läßt.

Der letzte vorreformatorische Künstler Berns soll Niklaus Manuel Deutsch gewesen sein. "Kurz vor 1528" soll er seine berühmten Fresken des Totentanzes an einer Mauer des Predigerklosters in Bern gemalt haben. Das Kunstwerk wurde angeblich "in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts" zerstört.

Vorher, nämlich angeblich "1649", fertigte Kauw noch Kopien von Manuels Fresken an.

Kauw malte auch einen Stammbaum des Geschlechts der Manuel.

Diese Darlegungen sind etwa so zu berichtigen:

Kauw war ein unmittelbarer Nachfolger von Niklaus Manuel Deutsch. Der Erstere führte das Werk des Letzteren unter protestantischen Vorzeichen fort. - Die angeblichen Kopien des Totentanzes sind vielleicht Originale von Kauw. - Der Künstler hat sie geschaffen, um ein katholisches Bern künstlerisch zu belegen.

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