Der Obelisk von Murten (Morat)

Die Hintergründe einer Denkmalsetzung
des frühen 19. Jahrhunderts.

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Französischer Text:

L’obélisque de la bataille légendaire de Morat (Murten)

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Bearbeiteter Auszug aus dem Buch des Autors:

Historische Denkmäler in der Schweiz.
34 helvetische Erinnerungsstätten, kritisch betrachtet.
164 Seiten mit 35 Abbildungen; Norderstedt 2021

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Startseite: www.dillum.ch

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Der Obelisk von Murten

Foto: Autor, 6.7.2013

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Zeitlose monumentale Schlichtheit

Die legendären Schlachten von Murten "1476" und Laupen "1339" sind absolut identische Geschichten. Vergleiche die Tabelle: Parallelen zwischen Laupenkrieg und Murtenkrieg.

Die Belagerung und Schlacht von Murten gehört in das Kapitel der Burgunderkriege. Diese bilden den Höhepunkt der alteidgenössischen Geschichtserfindung.

Der Krieg von Karl dem Kühnen gegen die Schwyzer Eidgenossen stellt eine Parallele dar zum Feldzug von Alexander dem Grossen gegen das Perserreich.

Ein Beispiel:

Alexander belagert die seeseitige Stadt TYRUM, Tyrus (= TRM) während SIEBEN Monaten.

Karl belagert das seeseitige Städtchen MURTEN (MORAT) (= MRT > TRM) während SIEBEN Tagen.

Die ältesten Chroniken (nach der Mitte des 18. Jahrhunderts) sagten richtig:

Karl der Kühne stellt ein Spiegelbild dar zu Alexander dem Grossen.

Die Burgunderkriege sind wie ein Dreissigjähriger Krieg konstruiert: Sie beginnen "1447" mit einem Krieg gegen Freiburg (Fribourg) und enden "1477" mit dem Tod Karls des Kühnen nach der Schlacht bei Nancy.

Eine bezeichnende Einzelheit:

Die Kriegserklärung gegen die Stadt Freiburg ist erhalten. Sie enthält 28 Unterschriften, darunter diejenige von Alexander dem Grossen!

Seit langem wissen die Historiker oder sollten es wissen, dass mit diesen Burgunderkriegen etwas nicht stimmt.

Aber wie immer: Zweifel werden unterdrückt und absurde Dinge auf die Seite geschoben.

Ein Beispiel:

Die Armee des Burgunderherzogs vor Murten zählte angeblich 100'000 (!) Mann. Die Berner und der eidgenössische Zuzug sollen in jener Schlacht - dem Zehntausend-Ritter-Tag (22. Juni) - an einem Tag 30'000 Feinde umgebracht haben - obwohl die Eidgenossen zahlenmässig weit unterlegen waren.

Dann gibt es die bekannte Burgunder-Beute:

Karl der Kühne soll vor Murten seinen ganzen Staatsschatz, alle seine wertvollen Dinge - Teppiche, Gold- und Silberwaren und Diamanten - mitgeschleppt haben.

Aber welches Heer nimmt alles Gold und Silber in vorderster Front mit? - Das ist absurd!

Der Schatz der Burgunder existiert. Aber es waren die Eidgenossen selber, welche die Kostbarkeiten gesammelt und bezahlt haben.

Die Murtenschlacht ist in der volkstümlichen Überlieferung lebendig. Jedes Jahr findet in Murten ein Umzug, die Solennität statt, gefolgt von einem Feldschiessen.

Und für die Schweizer Landesausstellung 2002 wurde bei Muntelier (Montilier) ein metallener Kubus in den See gestellt. In diesem konnte man ein geschmackloses Panorama-Gemälde der Schlacht eines wenig bekannten Malers von Ende des 19. Jahrhunderts bewundern.

Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es bei der kleinen Gemeinde Merlach (Meyriez) eine Schlacht-Kapelle, genauer gesagt ein Beinhaus. Dieses wurde 1798 von den vorrückenden französischen Truppen zerstört.

An der Stelle des ehemaligen Beinhauses liess der Kanton Freiburg 1822 das heutige Schlacht-Denkmal aufstellen.

Das Denkmal von Murten oder Merlach hat die Form eines Obelisken, ist 18 Meter hoch und aus Blöcken gefügt, also kein Monolith.

Die Erinnerungsstätte ist von Bäumen und Hecken umgeben und befindet sich heute eingeklemmt zwischen einer Eisenbahnlinie und der Umfahrungsstrasse von Murten.

An der südwestlichen Basis, gegen Freiburg gerichtet, liest man in goldenen Lettern die lapidare Inschrift:

Victoriam XXII Jun[ii] MCCCCLXXVI patrum concordia partam novo signat lapide respublica Friburg[ensis] MDCCCCXXII.

In freier Übersetzung:

Die Republik Freiburg ehrt hier 1822 den am 22. Juni 1476 durch die Einigkeit der Ahnen errungenen Sieg mit einem neuen Stein.

Der Autor wundert sich: Welches Motiv hatte der junge Kanton Freiburg, sieben Jahre nach der Napoleonischen Ära, ein solches Monument aufzurichten?

Die Freiburger Regierung begann bereits 1817 mit den Vorarbeiten für ein Schlacht-Denkmal in Murten. Und sie hat danach den ursprünglich dafür bewilligten Kredit sogar verdreifacht.

Man muss diese Summe im Kontext sehen: Nach 1815 herrschte eine wirtschaftliche Depression.

Zudem hat Freiburg den Obelisken ohne die Beteiligung Berns oder anderer Kantone aufgestellt.

Doch der Kanton hatte ein besonderes politisches Interesse:

Die Region Murten war vor 1798 eine Gemeine Herrschaft zwischen Bern und Freiburg: Alle vier Jahre wechselten sich ein bernischer und freiburgischer Landvogt ab.

1803 wurde Murten dem neugeschaffenen Kanton Freiburg zugeschlagen, obwohl das Städtchen protestantisch, deutschsprachig und nach Bern orientiert war.

Die Denkmalsetzung von 1822 verfolgte also ein handfestes politisches Ziel: Damit wollte der Kanton Freiburg seinen rechtmässigen Anspruch auf Murten zeigen - und gleichzeitig die Schlacht für sich einheimsen.

Der Kanton erfand dazu noch eine andere Legende:

Angeblich habe ein Läufer die Nachricht von dem Sieg bei Murten nach Freiburg gebracht und sei gleich nach der Überbringung tot zusammengebrochen.

Man erkennt dahinter das antike Vorbild des Läufers von Marathon.

Die Anspielung liegt schon in den Namen: MURTEN, MORAT (MRT) und MARATHON (MRT) sind gleich. Und die gleiche Konsonantenfolge MRT ergibt MORTEM, mors = der Tod.

Die Burgunder lassen sich nicht aus Murten vertreiben:

Manchmal färbt sich der Murtensee rötlich, hervorgerufen durch eine massive Vermehrung von gewissen Algen. Die Murtner sprechen dann vom Burgunderblut.

Für den Autor übt der Obelisk von Meyriez - Merlach eine sonderbare Faszination aus.

Es ist nicht die Erinnerung an eine legendäre Schlacht, sondern die zeitlose monumentale Schlichtheit des Denkmals, die beeindruckt. Man kann den Ort schätzen, ohne an Geschichte zu denken.

Man meint, der Obelisk stehe für etwas anderes oder sei ganz einfach ein Beispiel für l'art pour l'art.

Und die Inschrift an dem Monument liesse sich ersetzen durch ET IN ARCADIA EGO (Auch ich war in Arkadien).

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12.2018