Die Heiliggeistkirche in Bern:
ihre wahre Entstehungszeit

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Autor: Christoph Pfister

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Mit einem Annex:
Ein ähnlich unmöglich frühes Baudatum wird von dem
Burgerspital neben der Heiliggeistkirche erzählt:

Der barocke Spitalkomplex soll "1740 - 1742" entstanden sein.

Dabei ist das Burgerspital nur Jahre älter als die
(neue) Heiliggeistkirche.

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Ein ähnlich absurdes Baudatum gibt es im Waadtland:

In Chêne-Pâquier, östlich von Yverdon im Waadtland, gibt es eine protestantische Kirche, die als Grundriß ein ovales Querschiff aufzeigt. – Es ist dies typischer reformierter Barock, frühestens um 1790 anzusetzen.

Aber weil die Kirche von Chêne-Pâquier das Datum „1667“ trägt, so wird jener Baustil eben um mehr als hundert Jahre nach rückwärts verschoben.

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Vergleiche auch:

Die verquere Baugeschichte des Berner Münsters
und der Plattform richtiggestellt

Allgemein:

Geschichts- und Chronologiekritik

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Die heutige Heiliggeistkirche in Bern

Foto: Autor, 2012

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Wann ist die heutige Heiliggeistkirche zu datieren?

Seit den 1970er Jahren beschäftigt den Autor das Baudatum der heutigen Heiliggeistkirche in Bern.

An diesem Bauwerk kommt kein Besucher von Bern vorbei.

Wer im Hauptbahnhof aussteigt, sieht zuerst die eindrückliche Heiliggeist-Kirche. Diese hat sich trotz der City-Bildung aus der alten Zeit erhalten – gleich wie das Burgerspital gegenüber.

Und seit Jahrzehnten beschäftigt den Autor die offizielle Entstehungsgeschichte.

Die Heiliggeistkirche sei „1726 bis 1729“ erbaut worden.

Und seit je her sagte sich der Schreiber: Vom Stil her ist dieses Gotteshaus um jene Zeit unmöglich, es ist ganz einfach viel zu früh datiert.

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Lory: Die Heiliggeistkirche in Bern. Aquarell von 1814

Kunstmuseum Bern

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Kunsthistorische Irrwege

Die offizielle Kunstgeschichte ist ebenso stur dogmatisch und orthodox wie die Geschichtswissenschaft selber.

Für die Historiker zählen Quellen und Jahrzahlen. Und diese haben den gleichen Wert wie ein Bibeltext für christliche Sekten: Sie sind sakrosankt und dürfen nicht widersprochen werden.

Gefühle gelten für jene akademischen Wissenschaften nicht.

Wer mit den Augen sieht und wer etwas fühlt, sei auf dem Holzweg, sagen diese Leute.

Aber die Wahrheit ist umgekehrt: Worte und Daten sind beliebig.

Eine wahre Geschichte muß zuerst erfühlt werden.

Die Entstehung der Heiliggeistkirche in Bern ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel.

Die Kirchen innerhalb des alten Berns

Jedes Bauwerk steht in einem Zusammenhang und muß zuerst in diesem gesehen werden.

Die Heiliggeistkirche steht im Kontext des alten Berns und seiner Entwicklung.

In Die Ursprünge Berns (2020) hat der Autor die Anfänge der "mittelalterlichen" Stadt skizziert.

Das „mittelalterliche“ Bern hat etwa dreihundert Jahre vor heute (2020) begonnen.

Gegen Westen erfuhr die Stadt zwei Erweiterungen, zuerst jene bis zum nachmaligen Käfigturm, dann jene bis zum Christoffelturm.

Die Stadtmauer mit dem Christoffeltor ist in die 1740er Jahre zu setzen. Um diese Zeit also kam der Platz der heutigen Heiliggeistkirche intra muros zu liegen.

Und erst dann baute man in der Stadt Kirchen und Klöster.

Schon jetzt wird klar: Das genannte Baudatum des heutigen Gotteshauses (Ende der 1720er Jahre) ist verfrüht, ist unmöglich.

Die gotische Heiliggeistkirche

Das heutige Gotteshaus hatte einen Vorgängerbau: die gotische Heiliggeistkirche.

Bilder gibt es von diesem Bauwerk nicht, außer die bekannte Merian-Ansicht, die um 1770 zu datieren ist.

Doch kennt man den Plan jener Kirche (vgl. die Abbildung). Es war dies eine nach dem Azimut des Nordrands der Spitalgasse ausgerichtete Anlage, mit einem schlanken Glockenturm einer Halle und verschiedenen Anbauten, mit einer Einfriedung versehen. In katholischer Zeit war die Kirche Teil eines Klosters.

Das Gotteshaus war in gotischem Stil erbaut. Dieser ist in den 1740er Jahren aufgekommen.

Man kann die alte Heiliggeistkirche auf die 1750er Jahre datieren.

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Plan der alten Heiliggeistkirche in Bern, darüber (schwarz) die Umrisse des Nachfolgebaus

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Das Baudatum der heutigen Heiliggeistkirche

Das heutige Monument gilt als Beispiel für den protestantischen Barock. Der Autor hält es aber eher für ein Werk des protestantischen Klassizismus.

Der zuletzt genannte Baustil ist gegen 1800 anzusetzen.

Also muß das Baudatum der heutigen Kirche dort zu sehen sein.

Vor dem Christoffeltor gab es als Schanzentor das sogenannte Genfer- oder Obertor. Dieses wurde 1807 abgebrochen.

Eine Ansicht jenes Tors von 1804 zeigt daneben den Glockenturm der heutigen Kirche.

Die erste vollständige Ansicht der Heiliggeistkirche stammt von Lory und ist mit 1814 datiert.

Das Baudatum kann also, wie gesagt, nur die Zeit um 1800 sein.

Die gefälschte Baugeschichte der heutigen Heiliggeistkirche ist Teil der großen Geschichtsfälschung, die um 1760 einsetzte und bis ins frühe 19. Jahrhundert fortgesetzt wurde.

Auch bei den Datierungen der Bilder ist Vorsicht geboten.

Bei der neuen Heiliggeistkirche gibt es ein paar krasse, absichtliche Falschdatierungen.

So findet sich im Buch von Cäsar Menz und Berchtold Weber, Bern im Bild, Bern 1981, auf S. 90 eine Abbildung der neuen Heiliggeistkirche des Künstlers Johann Grimm, angeblich 1675 - 1747:

Die Zeichnung ist vollkommen unmöglich: Sie stellt die Nordseite der Spitalgasse so dar, wie sie frühestens nach 1800 aussah.

Und in der Broschüre von Jan Straub (Die Heiliggeistkirche und das Burgerspital in Bern, Bern 2017) gibt es auf Seite 8 ein Bild des Künstlers Johann Rudolf Dill von 1829, welches das Christoffeltor und daneben den Turm der alten Heiliggeistkirche zeigt. Es wird gesagt, dass diese Ansicht nach einer älteren Vorlage geschaffen worden sei. - Aber hat dieses frühere Bild wirklich existiert?

Auf Seite 16 wird ferner eine Aquatinta von Samuel Weibel wiedergegeben, die bereits die neue Heiliggeistkirche darstellt. - Doch stimmt das Datum 1795?

In der gleichen Publikation wird die angebliche Baugeschichte der neuen Heiliggeistkirche mit phantastisch genauen Daten und Namen wiedergegeben. - Doch diese gab es um die behauptete Zeit noch lange nicht.

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Zeichnung und Foto des Inneren
der heutigen Heiliggeistkirche in Bern

Aus einer Publikation von Paul Hofer

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Ansicht des Burgerspitals von Süden

Das Gemälde wird einem Johann Grimm zugeschrieben und soll "1743" entstanden sein.

Vor etwa 1795 kann es das Burgerspital nicht gegeben haben.

Ärgerlich an dem Bild ist die bewusste Zeitfälschung, die suggeriert wird: Also hätte es "1743" bereits beide Gebäude - das Burgerspital und die neue Heiliggeistkirche - gegeben.

Dabei gab es um diese Zeit dort noch nichts, was heute existiert.

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aus: Jan Straub, Die Heiliggeistkirche und das Burgerspital von Bern, Bern 2017, S. 43

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12.2019